Selbstzweifel

 

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Risse durchschnitten das Gesicht des Mädchens. Schwarze Farbe überflutete ihre blassen Wangen. Kälte durchströmte ihren Körper. Rote Tropfen sammelten sich auf ihrer weißen Hose.

 

Sie sah sich das Mädchen mit zu blasser Haut und zu müden Augen an. Ein Mädchen mit zu stark geschminktem Gesicht und zu lockigem Haaren. Ein Mädchen mit zu starkem Bauchansatz und zu strammen Beinen.

 

Sie sah ein Mädchen, mit der sie Mitleid hatte. Wer könnte es denn je lieben? Oder es so annehmen, wie es ist?

 

Das Mädchen wirkte im Vergleich zu all den Andern lachhaft unperfekt. Es hetzte von Trend zu Trend, und versuchte so ein Teil vom großen Ganzen zu werden.

 

Das Mädchen lachte, wenn alle lachten, es war wütend, wenn es die anderen waren, unabhängig ob ihr danach zu Mute war.

Und wenn alle redeten, dann schwieg es, denn es wollte nichts Falsches sagen, niemanden einen Grund geben ihre Erscheinung genauer zu betrachten.

 

Sie dachte an die Familie und Freunde des Mädchens, dass sie sich kritisch ansah. Sie sagten ihr, was sie alles an ihr mochten, aber es war nicht in der Lage, dass selbst auch zu sehen.

 

 „Schade“, dachte sie bei sich. „Wie gut müsste es diesem Mädchen gehen, wenn es sehen würde, was die anderen sahen“.

 

„Schande“, dachte sie bei sich. „Schande auf all die schlechten Gedanken in ihrem Kopf. All die Gedanken, die es Tag für Tag versucht zu verdrängen.“ Ein Vorgang der schon lange nicht mehr funktioniert. Denn wenn es still ist und das Mädchen allein ist, dann sind es diese Gedanken, die es wachhalten. Diese Gedanken, die ihr sagen, was an ihr alles falsch ist, was es ändern sollte, um gemocht zu werden.

 

Sie lächelte bitter bei dem Gedanken daran. Wie kann jemand dieses Mädchen mögen, wenn es sich selbst nicht mag?

 

Und sie dachte bei sich: „Armes Mädchen im zerbrochenen Spiegel. Wie traurig, dass wir uns selbst nicht lieben können.“

 

Dann sah sie an sich herab. Ihr Tränen verschleierter Blick wanderte zu ihren Händen. Die eine war zur Faust geballt, die andere umklammernd eine Scherbe, welche sich stumm in ihre Handfläche bohrte und rote Bluttropfen auf ihrer weißen Hose hinterließ.

 

 

Selbstzweifel

 

„Glaube nicht alles, was du über dich denkst.“ (Byron Katie, URL.)

 

Wir machen uns Gedanken über alles Mögliche, aber wohl am meisten über uns selbst. Wir reflektieren jeden Tag unsere eigenen Handlungen, unsere Reaktionen und unser Auftreten. Aber was passiert, wenn wir mit unseren Reflektionen nicht zufrieden sind? Was geschieht, wenn unsere Gedanken über uns immer negativer werden?

 

Das Zitat ist passend, um die Kurzgeschichte zu reflektieren. Und passend, um das eigentliche Thema noch einmal zu präzisieren.

Es geht um Selbstzweifel. Ein Thema, dass in der Gesellschaft meist eher gekonnt ignoriert als willentlich betont wird. Ein Thema, dass viele Menschen betrifft und durchaus folgenreich sein kann.

 

Selbstzweifel meint das Zweifeln an sich Selbst. Das Kritisieren des eigenen Aussehens, der Fähigkeiten und Lebensentscheidungen. Es beinhaltet die Fehlersuche bei der Arbeit, in der Liebe und Partnerschaft, sowie in bestimmten sozialen Situationen. Das eigene Verhalten wird reflektiert (vgl. MindDoc Health GmbH, URL.).

 

Selbstzweifel sind meist negativ konnotiert, können aber durchaus hilfreich sein. Ein kritisches Reflektieren des eigenen Verhaltens und Handelns dient dem Aufbau eines Bewusstseins für eigene Stärken und Werte. Wichtig dabei ist, dass den Phasen des Selbstzweifels ein gesundes Selbstbild folgt. Es ist also keine dauerhafte Belastung, sondern viel mehr eine konstruktive Kritik (vgl. MindDoc Health GmbH, URL.).

 

Zu einem ungesunden und problematischen Vorgang werden Selbstzweifel erst, wenn die eigenen Werte und Stärken nur schwer oder gar nicht erkannt werden. Die Betroffenen kommen in einen Teufelskreis. Sie trauen sich weniger zu, vergleichen sich mit scheinbar souveränen Anderen, machen sich selbst Vorwürfe und kommen dadurch in eine Abwärtsspirale voller Selbstabwertungen (vgl. MindDoc Health GmbH, URL.).

 

Ursachen für Selbstzweifel sind sehr vielfältig. Sie können durch neue Herausforderungen entstehen, in denen die Person noch kein Wissen darüber besitzt, ob sie dieser gewachsen ist oder nicht. Auch äußere Umstände, wie Misserfolge oder Konflikte, sowie Stress oder Überforderung können positiv auf die Vertiefung oder Entstehung von Selbstzweifeln wirken. Auch die Kritik von Außenstehenden kann eine Ursache sein. Diese kann verbal oder nonverbale erfolgen und regt meist zu einem intensiven Nachdenken an, wodurch die Fehlersuche, bei sich selbst verstärkt wird. Problematisch hierbei ist, dass auch die Vorstellung oder Vorwegnahme von einer eigentlich nicht vorhandenen Kritik ein Auslöser sein kann. Das bedeutet, Betroffenen machen sich schon vor einer Situation Gedanken darüber, was andere denken könnten, und beginnen mit der Selbstanalyse (vgl. GET.ON. 2021, URL.).

 

Selbstzweifel folgen Mechanismen, welche nur schwer zu durchbrechen sind. Diese erhalten sich selbst aufrecht und zeigen sich als selbsterfüllende Prophezeiungen (Ich kann das nicht), Selbst-Sabotage (Ich war das nicht) oder durch das Hochstapler-Syndrom (Ich sollte das nicht). Gewinnen diese Mechanismen die Oberhand und wirken mit anderen Symptomen zusammen, so kann eine Depression entstehen (vgl. MindDoc Health GmbH, URL.).

 

Selbstzweifel sind ein menschliches und durchaus normales Phänomen, dass ohne zusätzliche Symptome keine psychische Erkrankung darstellt. Kommt es allerdings zu unbegründeten Selbstvorwürfen und weiteren Indikatoren (vgl. GET.ON. 2021, URL.), wie geringe Motivation oder eine pessimistische Sicht auf die Zukunft, dann können Selbstzweifel durchaus ein Symptom für Depressionen sein. Es ist allerdings nicht eindeutig feststellbar, ob die Depression ein Einstieg in die Selbstzweifel oder die Selbstzweifel ein Einstieg in die Depression ist (vgl. MindDoc Health GmbH, URL.).

 

Es handelt sich bei Selbstzweifeln zusammenfassend um ein wichtiges Thema. Es kann ein Symptom für psychische Erkrankungen darstellen und sehr folgenreich sein. Ein gesundes Maß an Selbstzweifeln kann eine Person durchaus voranbringen. Wird diese gesunde Grenze allerdings überschritten, so geht von Selbstzweifeln eine große Gefahr aus. Es sollte öffentlich mehr über psychische Erkrankungen und ihre Symptome gesprochen werden. Es sollte kein Tabu sein, Hilfe zu brauchen und mit sich selbst nicht zufrieden zu sein.

 

 

In der Kurzgeschichte soll genau dies dargestellt werden. Es geht, um ein Mädchen, dass sich selbst von außen betrachtet und an sich zweifelt. Es soll gezeigt werden, wie zerstörerisch Selbstzweifel sein können und wie schwer es sein kann sich selbst positiv wahrzunehmen. Sie kritisiert ihr Aussehen und begibt sich auf eine selbstbezogene Fehlersuche bezüglich ihrer menschlichen Beziehungen. In der Kurzgeschichte werden die Selbstzweifel bereits problematisch, da das Mädchen eigene Stärken nicht mehr wahrnimmt und sich selbst Vorwürfe macht. Die Ursachen der Selbstzweifel bleiben in der Kurzgeschichte unerwähnt. Es soll der Fokus überwiegend auf die inneren Vorgänge gelegt werden.

 

Milena


27.02.22