Es tut mir leid

 

Immer wieder kommt es vor, dass Menschen sterben. Der Tod ist omnipräsent, so viel ist klar.

 

Genauso omnipräsent ist aber auch die Ungewissheit, die Furcht und die Unwissenheit derer, die nicht direkt von dem Verlust betroffen sind: Was sagt man den Angehörigen und engen Freunden des Toten? „Es tut mir leid.“ Aber was tut mir leid? Dass mein Gegenüber einen geliebten Menschen verloren hat? Ja, das tut mir leid. Aber ist der Verstorbene jetzt nicht vielleicht endlich von seinen Schmerzen befreit? Quält er sich endlich nicht mehr mit einem Gedächtnis, dass wie ein Sieb immer mehr Erinnerungen verloren hat? Ist der Angehörige nicht endlich von der Anspannung der Pflege befreit? Was genau meine ich damit, wenn ich sage, dass es mir leidtut? Viel mehr meine ich doch, dass ich für meinen Gegenüber da sein kann, wenn er/sie mich braucht. Ich meine damit, dass ich mich in seine/ihre Situation hineinversetzen kann, ich meine damit, dass ich zuhören werde, wenn ich als ZuhörerIn gebraucht werde.

 

Aber warum sagt man es nicht so? Warum sage ich nicht: Ich kann deine Trauer verstehen. Ich bin da für dich, wenn du mich brauchst. Ich komme morgen und bringe dir Mittagessen. Warum sagt man „Es tut mir leid.“? Eine Phrase, die man täglich so oft und in den oberflächlichsten Situationen verwendet: Im Supermarkt versehentlich jemanden angerempelt: „Oh, das tut mir leid!“. Am Telefon etwas nicht richtig verstanden; „Es tut mir leid, könnten Sie das nochmal wiederholen?“.

 

Es ist oft das Einzige was in einer Situation, die eng mit dem Tod verbunden ist, bleibt. Es schnürt einem die Kehle zu und zu sagen bleibt lediglich: Es tut mir leid. Dein Verlust tut mir leid.

 

Schon oft habe ich auf Trauerfeiern und Beerdigungen die Wortgewandtheit der PastorInnen und Pastorinnen bewundert. Sie finden in einer Rede so viel mehr passende Worte als ich sie je finden könnte. Sie sagen nicht „es tut mir leid“, sie sagen so unglaublich viel mehr. Sie erinnern an gemeinsame Momente, die die Angehörigen mit den Verstorbenen erlebt haben, machen vielleicht sogar den ein oder anderen Spaß. PastorInnen können sehr gut mit dem Tod umgehen, wohlgemerkt gehört es zu ihrem täglichen Arbeitsalltag auch dazu. Und trotzdem finde ich es bewundernswert, wie jede/r einzelne von ihnen einen Weg findet, alles Wichtige und Passende zu sagen, ohne einmal den Satz „Es tut mir leid“ zu verwenden.

Es ist mein großer Wunsch, dass ich eines Tages jemandem gegenübersitzen kann, der einen geliebten Menschen verloren hat und ich dann in der Lage bin, mehr als nur mein Beileid zu bekunden. Ich möchte Worte finden, die tiefer gehen als die Floskel „Es tut mir leid.“. Ich möchte, dass mein Gegenüber weiß, dass ich da bin, für alles was er/sie in diesem Moment braucht. Ich möchte mehr sein, als nur jemand, der im Meer der Mitleidsbekundungen untergeht, wo es mir doch so wichtig ist, mehr als nur eine/r von vielen zu sein, wo ich doch wirklich helfen möchte.

 

Die richtigen Worte habe ich bis heute noch nicht gefunden. Aber ich hoffe, dass sie eines Tages mehr aussagen als „Es tut mir leid“.

 

 

Lena, 21


20.01.22