Das Sterben als künstlerischer Akt

Munch, E. (1893). Death in the sickroom. The Munch Museum: Oslo.
Munch, E. (1893). Death in the sickroom. The Munch Museum: Oslo.

 

Würdest du einen todkranken Menschen in einem Museum vor ZuschauerInnen sterben lassen. Nicht nur, um den Menschen, die dabei zusehen, zu zeigen, wie das Sterben ist, sondern auch, um damit ein stückweit bekannter zu werden oder sogar deinen Lebensunterhalt zu verdienen?

 

Geht das zu weit, oder darf Kunst das? Dürfen KünstlerInnen Menschen und deren Sterben zu einem künstlerischen Akt werden lassen? Sich den Tod zum Objekt machen und zur Schau stellen? Immer mehr KünstlerInnen haben im Laufe der letzten Jahre begonnen einen neuen, (provozierenden?) Kunstzweig, der sich den Tod und das Sterben zum Objekt der Begierde macht, zu etablieren. Ein nennenswertes Beispiel ist Gregor Schneider. Er hatte vor, was die Mehrheit der Gesellschaft als moralisch und ethisch verwerflich brandmarken würde. Gregor Schneider hat einen Sterberaum entworfen, in dem ein todkranker Mensch vor den Augen von ZuschauerInnen seinen letzten Atemzug tun sollte.

 

Wärest du damit einverstanden, wenn KünstlerInnen mit dieser „Kunst“ und dem Leid anderer vielleicht sogar Profit machten. Durch den Tod eines anderen Menschen. Hiermit überschreitet der Tod eine Schwelle und wird vom Objekt einer künstlerischen Handlung, zur künstlerischen Handlung selbst.

 

Kunsthistorisch gesehen, befassten sich KünstlerInnen als Muss, aber auch aus eigener Trauer- und Traumabewältigung mit dem Tod. Edvard Munch („Der Schrei“, 1893) und Egon Schiele („Der Hafen von Triest“, 1907) zum Beispiel, fertigten Zeichnungen und ganze Projekte als Reaktion auf Krankheit oder Tod nächster Angehöriger. Verständlich sage ich. Trauma- und Trauerbewältigung durch künstlerisches Wirken, keine Neuheit.

 

Aber einen Menschen vor ZuschauerInnen sterben lassen?

 

Meiner Meinung nach ist es falsch, bei der Beantwortung dieser Frage zu versuchen, zu einem Kompromiss zu kommen. À la, ja, Kunst darf das, aber nur wenn… Dies funktioniert nicht. Du als Individuum, mit deiner eigenen Meinung, musst dich positionieren und klar für oder gegen den Tod als künstlerischen Akt entscheiden. Zudem ist es für einen Standpunktwechsel angebracht, auch die Kehrseite der Frage zu betrachten, um einen neuen Zugang zum Thema zu bekommen. Du solltest dich nicht fragen, ob es ethisch und moralisch vertretbar ist, todkranke Menschen vor ZuschauerInnen in einem Museumsraum sterben zu lassen. Die Frage muss lauten:

 

Will der todkranke Mensch vor ZuschauerInnen sterben?

 

Denn es ist nun einmal so, dass, wenn Außenstehende über den Willen einer Person entscheiden oder urteilen dürfen, der Wunsch des/r einzelne(n) immer nur im mehrheitlichen Geschwafel von Norm und Normalität verschwindet. Wenn du dich für dich selbst, und aus freien Stücken entscheidest, ob du an einem solchen Kunstprojekt teilnehmen willst und kannst, dann verfliegt die Frage nach Tabu im Sterben. Ja, dann gibt es kein Tabu mehr.

 

Entscheidet sich ein/e KünstlerIn einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem ein Mensch sterben kann, wenn er/sie möchte…

 

Entscheidet sich ein Mensch in einem Raum vor den Augen von ZuschauerInnen seinen/ihren letzten Atemzug zu tun…

 

Entscheiden sich Menschen zu ZuschauerInnen im intimsten, und letzten Moment im Leben dieses Menschen zu werden…

 

Und entscheidest du dich, an einem solchen künstlerischen Akt, in welcher Position auch immer, teilzunehmen…

 

Dann wird die Frage, ob KünstlerInnen solche Projekte schaffen dürfen, ob dieser Akt von Außenstehenden als moralisch und ethisch vertretbar gewertet wird oder eben nicht, hinfällig.

 

Im Endeffekt geht es doch um den eigenen Willen, und um das Zutrauen zu sich selbst, für diesen Moment gemacht zu sein. Teilzunehmen an etwas, was im letzten Jahrhundert, immer mehr aus der Gesellschaft hinaus, in Krankenhäuser und Hospize und nach Abschluss des Lebens letztendlich auf Friedhöfe verbannt wurde. In den Jahren 2011-2013 sind fast die Hälfte aller Verstorbenen nicht zu Hause, in ihrer gewohnten Umgebung, sondern in einem klinischen Umfeld gestorben (Zich, Sydow, 2015). Der Tod als Ausgestoßene/r.

 

Entweder du oder ich, einer von uns beiden verstirbt rein rechnerisch im Krankenhaus. Falls wir beide uns dann doch diesem Sterbeort entziehen sollten und nicht zu den im Krankenhaus verstorbenen Menschen zählen, dann haben wir immer noch eine gute Chance, durch unsere heutige Gesellschaft verschuldet, einsam in unseren Wohnungen zu sterben. Dort liegen wir dann, mehrere Monate, bis der/die NachbarIn einen üblen Geruch meldet.  Unbemerkt. Allein gelassen. Allein im Leben, allein im Tod. Hier solltest du dir, falls du gegen den Tod in der Kunst bist, ebenfalls überlegen, ob du das Gegenteil von dem Akt, vor einem Publikum zu sterben, nämlich allein zu Hause, moralisch und ethisch verantworten kannst.

Im Ende sind wir doch alle gleich. Der Tod kommt eines Tages auch zu uns.  Gesellschaftliche Konventionen und die Frage ob Kunst das durfte oder nicht, werden dann egal sein, in diesem einen Moment, in dem wir aufhören zu existieren. Das Tabu um das Thema Sterben als Akt der künstlerischen Freiheit beginnt zu bröckeln.

 

Will der todkranke Mensch vor ZuschauerInnen sterben?

 

Diese Frage steht sinnbildlich für die Entscheidungsfreiheit. Ich beziehe mich auf die oben beschriebene Situation, das Sterben im Museum, und sage ganz klar. Wenn die Teilnahme an diesem Akt für jede teilnehmende Person zwanglos und diese in egal welcher Position freisteht, dann darf Kunst das. Dann sterben Menschen für die Kunst und in der Kunst. Es ist schlussendlich nur natürlich. Und darum geht es doch in der Kunst. Um die Natur der Dinge und somit um die Ästhetik der Natur.

 

Jan, kontrovers

 

Zich, K., Sydow, H. (2015). Palliativversorgung – Modul 1 – Sterbeort Krankenhaus – Regionale Unterschiede und Einflussfaktoren. Bertelsmann Stiftung: Gütersloh.

 


01.11.21