Der Tag begann mit diesem Gerücht. Der Ernst der Aussage kam erst gar nicht bei mir an. Luise erzählte öfter mal Geschichten – um sich wichtig zu machen. Aber dann kam Rieke aus der Parallelklasse in der Pause zu uns, mit Tränen in den Augen. Sie bestätigte, was wir bis dahin nicht hatten glauben wollen. Greta war gestorben. An Malaria, in Afrika.
Greta war mit ihrem Zwillingsbruder in unsere Grundschulklasse gegangen, bis zur Dritten. Dann ist ihre Familie zurück in ihr Heimatland gezogen, wo der Vater eine Schule aufbauen wollte. Das war jetzt fast anderthalb Jahre her. Wir standen still auf dem Schulhof. Luise hatte Rieke in den Arm genommen, niemand konnte irgendwas sagen und jede von uns hatte nur ihre eigenen schweren Gedanken im Kopf. Wie schlimm musste es für ihre Familie sein, für ihren Bruder? Warum Greta? Sie war noch so jung.
Es klingelte. Einen Moment lang rührte sich niemand. Dann gingen wir schweigend zurück in die Klasse. Luise ging mit Rieke. Wir hatte jetzt Bio. Aber niemand von uns konnte sich konzentrieren. Dann fing Klara an zu weinen. Es war wie eine Kettenreaktion, schossen uns nacheinander die Tränen in die Augen. Frau Kruse, unsere Biologielehrerin war ganz schockiert. Natürlich, sie wusste schließlich nicht, was uns alle bedrückte. Draußen vor dem Klassenzimmer erklärten wir es ihr.
Wir hatten eine ehemalige Pastorin an der Schule, Frau Sommer, sie unterrichtete jetzt Religion. Frau Kruse rief sie an und zusammen gingen wir in einen freien Raum. Ein Raum für unsere Gedanken, die wir bis dahin für uns behalten hatten. Ein Raum für Erinnerungen. Wir erinnerten uns an die schönsten Momente mit Greta, vor allem die, die wir als Gruppe erlebt haben. Alle mochten Greta, sie hat so viel gelacht und wollte immer, dass sich alle vertragen. Einmal, ich glaube es war in der zweiten Klasse, da haben wir das Sonnensystem nachgestellt, erzählten wir Frau Sommer. Greta hatte ihren Lieblingspulli an. Einen gelben Pullover mit orangener Schrift.
Greta war die Sonne.
Später gestalteten wir noch eine Karte für Gretas Familie. Vorne malten wir eine Sonne drauf und hinein schrieben wir unsere gemeinsamen Erinnerungen.
Erste Hilfe lernt jeder irgendwann in seinem Leben, die meisten, wenn sie ihren Führerschein machen. Wie macht man einen Druckverband? Wie geht nochmal die stabile Seitenlage? Manchmal braucht es bei Trauer auch jemanden, der sich mit Erster Hilfe auskennt. Frau Sommer musste sich in der Geschichte zwar nichts dergleichen fragen. Trotzdem hat sie Erste Hilfe geleistet. Erste Hilfe bei Trauer. Sie hat zugehört, die richtigen Fragen gestellt. Und es hat gutgetan.
Lisa
06.01.22
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