Wie jedes Jahr aufs Neue befinden sich wohl viele von uns in einem schier katastrophalen Dilemma: Was schenke ich wem zu Weihnachten? Und vielleicht auch noch: Warum?
Um dieser stressinduzierenden Komplexität zu entfliehen, fragen wir Google nach möglichen Ideen. Die 20 besten Geschenke für Frauen… Geschenkideen für die beste Oma… Das Internet gibt konsum- und profitorientiert Rat zu den besten Präsenten aller Zeit. Die Schenkenden sollen sich gut und großherzig fühlen – die Beschenkten gewertschätzt und geliebt. Zweifelsohne ist natürlich jede Gabe durch und durch sinnvoll und trägt gewiss zur Steigerung der Lebensqualität bei – wenn man Glück hat, sogar bis über den Jahreswechsel hinaus.
Doch bei all den Lichterketten, dem omnipräsenten Duft nach Glühwein und gebrannten Mandeln und einem „Last Christmas“ in Dauerschleife vergessen wir vielleicht den so wertvollen Blick nach innen. Macht uns die Natur mit ihren vielen kleinen Bewohnern nicht vor, was zu dieser Jahreszeit „eigentlich“ wichtig ist? Innehalten, zur Ruhe kommen, äußerer Stillstand, um in Inneren zu wachsen – darauf besinnen, was mich ausmacht: mein Mensch-Sein.
Der Blick aus dem Bürofenster wird angezogen von den immer weniger werdenden welken Blättern. Vor kurzem hingen sie noch grün und lebendig an den Bäumen. Nun tanzen sie ihren ganz eigenen Todestanz über unsere Welt. Die kalte Jahreszeit gibt scheinbar alles, um uns Menschen mit Vergänglich- und Endlichkeit zu konfrontieren. Die Natur als Lehrmeister für das Integrieren des unbequemen Themas Tod und Sterben?
Schreien wir nicht alle gerade danach, die Natur, das Klima und was sonst noch zu schützen, zu achten – ja gar als Vorbild zu sehen? Den Tod als natürlichen Bestandteil des Lebens zu betrachten? Ihm die gleiche Daseinsberechtigung zuschreiben, wie dem Wachstum, der Neuentstehung oder dem Werden?
Bei allem Wünschen nach (mehr) Menschlichkeit passiert uns ein großer Fauxpas. Wir vergessen, dass uns der Fakt, dass auch wir einmal sterben, genau zu dem macht, was wir sind: Ein Mensch. Den Tod zu verleugnen, ihn zu tabuisieren und aus dem Leben zu verdrängen, ist nichts weiter als naive Realitätsverleugnung und alles andere als die Wertschätzung unserer eigenen Menschlichkeit.
Bei all der weihnachtlichen Nächstenliebe, herzlichen Zwischenmenschlichkeit und Besinnung auf Essenzielles und Existenzielles dürfen wir also auch nicht vergessen, den Tod freundschaftlich in unser Leben aufzunehmen. Denn wann sind wir mehr mit unserer Menschlichkeit konfrontiert, als zu Geburt – und im Tode?
In diesen Zeiten hat der Tod und das Sterben eine ganz besondere Präsenz. Kaum einer kann sich dieser entziehen und oftmals sind wir ihr ausgesetzt, ohne, dass wir es beeinflussen können. Der Tod ist einfach da. Omnipräsent und häufig grenzenlos ungefiltert – auch für die, die wir aus liebevoller Absicht heraus davor schützen wollen: unsere Kinder. „Es gibt Tausende von Kindern, die den Tod kennen, weit über das hinaus, was Erwachsene wissen. Erwachsene hören vielleicht diesen Kindern zu, gehen aber achselzuckend darüber hinweg.“ (Kübler- Ross, 1983)
„Kinder werden viel häufiger mit dem Tod konfrontiert, als es uns bewusst ist. (…) Damit diese Begegnung eine gewinnbringende Erfahrung wird, brauchen sie offene und empathische Begleiter – uns.“ (Lochner & Hauck, 2019) Ist es nicht deshalb eine unserer Hauptaufgaben, Kindern Raum zu geben, um den Tod, das Sterben und die Trauer zu begreifen? Als feste Bestandteile menschlichen Lebens. Denn „(…) ob es uns bewusst oder [nicht] – das Sterben ist stets allgegenwärtig und verlangt (…) weit mehr, als einen pietätischen Umgang damit.“ (Lochner/Sieffert/Götze, 2021).
Doch wie gehe ich das an? Gerade, wenn für mich selbst die Thematik noch (immer) mit einem Tabu belegt ist?
Ein unglaublich kraft- und wertvolles Medium ist das Kinderbuch.
Dienten sie früher noch als Mittel zur Disziplinierung („Suppen-Kasper“ und Co.), so stehen heute inner- und intersubjektive Austausche von Erfahrungen und Haltungen im Fokus (Plieth, 2011). Kinderbücher „können dabei helfen, die sich stets entwickelnde und verändernde Realität besser zu er- und begreifen“ (Lochner & Hauck, 2019). Sie tragen dazu bei, ihre Rezipienten in eine andere, die literarische Welt zu schicken, sie ermöglichen Identifikationsprozesse mit Inhalten und geben den Anstoß eines Perspektivwechsels über ganz liebevoll gezeichnete Identifikationsfiguren (ebd.).
Bücher können Kinder UND ihre Bezugspersonen dabei unterstützen, (noch unbekannten oder auch unausgesprochenen) Emotionen zu begegnen. Über diese Begegnungen mithilfe von Büchern, können diese Emotionen kennengelernt werden, um sie fest in ihre Lebenswelt und -wirklichkeit zu integrieren. Kurzum: Kinder lernen Gefühle und innere Prozesse kennen, deren Begegnung damit sowie deren Annahme maßgeblich zur Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung beiträgt (ebd.).
Kinderbücher sind sinn- und wirkungsvolle „Werkzeuge“, ein tabuisiertes Thema, wie den Tod, zu enttabuisieren und dankenswerter Weise in immer größerer Zahl zu dieser Thematik vorhanden. Sie stehen in lokalen Buchhandlungen oder sind online erwerbbar. Sie sind da und warten darauf, verschenkt zu werden. An unsere Kinder. Um den ontologisch existierenden Tod begreifen zu können. Denn das geliebte Haustier wird sterben – und die Oma auch.
Deshalb an dieser Stelle der direkte Aufruf zum Konsum: Kauft (Kinder)Bücher über den Tod! Denn sie „schenken [ihm] eine liebevolle, aber dennoch ehrlich direkte Aufmerksamkeit“ (ebd.) – als kleine wertvolle Impulsgeber.
PS: Auch für Erwachsene gibt es schenkenswerte Bücher, wie beispielweise „Noch mal leben vor dem Tod“ von Lakotta und Schels mit unglaublich beeindruckenden und einzigartigen Fotografien oder „Solange ich lebe, kriegt mich der Tod nicht – Friedhofsgänge mit Schriftstellern“ von Wenzel.
Susanne, schenkfreudig
24.11.21
machsmirleichter.projekt@gmail.com